Lateinamerikas utopische Linke

Helge Buttkereit analysiert die Prozesse in Bolivien, Ecuador und Venezuela sowie die Zapatisten
Der Hamburger Politikwissenschaftler Helge Buttkereit wirft in seinem neuen Buch »Utopische Realpolitik – Die Neue Linke in Lateinamerika« einen ungewöhnlichen und erhellenden Blick auf die Entwicklungen der Linksregierungen in Bolivien, Ecuador und Venezuela sowie die zapatistische Widerstandsbewegung in Mexiko.
 
Die Perspektive der lateinamerikanischen Linken werden hierzulande sehr kontrovers diskutiert und es gibt auch schon einige Bücher, besonders über die Entwicklung in Venezuela. Doch der Hamburger Politikwissenschaftler Helge Buttkereit hat mit seinem kürzlich im Pahl-Rugenstein-Verlag erschienenen Buch »Utopische Realpolitik – Die Neue Linke in Lateinamerika« gleich in zweifacher Hinsicht Neuland betreten. Er hat die Entwicklungen in Bolivien, Venezuela, Ecuador und die zapatistische Bewegung in Südmexiko analysiert und bei allen historischen und politischen Unterschieden die Gemeinsamkeiten herausgestellt und er versucht diese Entwicklungen auf die hiesigen Verhältnisse rück zu koppeln.

Buttkereit begründet die Auswahl der lateinamerikanischen Beispiele recht schlüssig damit, dass er einen »Schwerpunkt auf die Bewegungen legen will, die konkret über das derzeit möglich Erscheinende hinaus orientiert sind, die also eine mehrheitsfähige utopische Realpolitik betreiben.« Für Brasilien, Chile und Uruguay treffe dieses Kriterium nicht zu, weil die Linksregierungen trotz mancher Reformen den Kapitalismus verwalten.

Im Gegensatz dazu kann der Autor in den von ihm behandelten Ländern grundlegende Transformationsprozesse erkennen. Buttkereit nennt als Beispiel die Einberufung von Verfassunggebenden Versammlungen in Bolivien, Ecuador und Venezuela, die bisher ausgeschlossene Bevölkerungsteilen, wie die Indigenen oder die Barriobewohner einbeziehen. Auch die Selbstorganisierungsprozesse an der Basis werden von ihm ausführlich dargestellt. Dabei setzt er sich im Fall Venezuela durchaus kritisch mit dem Chávez-Kult auseinander, ohne die durchaus eigenständige Organisierung an der Basis zu vernachlässigen. Ebenso differenziert ist Buttkereits Auseinandersetzung mit den indigenen Kommunen in Bolivien. Er benennt die repressiven Elemente in solchen Gemeinschaften, sieht aber in den durch eine neoliberale Politik verursachten sozialen Verheerungen den Hauptgrund für die Rückbesinnung auf diese Traditionen.

Anders als viele linke Lateinamerikaspezialisten sieht Buttkereit in der zapatistischen Bewegung in Chiapas keinen fundamentalen Gegensatz zu den Entwicklungen in Venezuela, Bolivien und Ecuador. Dabei beruft er sich auf Äußerungen von Subcomandante Marcos. Der erklärte, man werde die Entwicklung in diesen Ländern genau beobachten, bevor man sich darüber klar werde, ob es für eine soziale Bewegung möglich ist, gleichzeitig an der Regierung und an der Basis aktiv zu sein.

Im ersten Kapitel versucht der Autor den Brückenschlag zwischen der Linken in Lateinamerika und den sozialen Bewegungen in Europa über das Konzept der revolutionären Realpolitik herzustellen. Allerdings bleibt sein Konzept einer Neuen Linken, das er in Abgrenzen zu einer Realpolitik à la Linkspartei propagiert, recht vage. Es ist eben nicht so einfach, von den politischen Verhältnissen aus Lateinamerika auf Europa zu schließen. Deswegen ist Buttkereits Skepsis gegen genau durchgerechnete Großkonzepte, wie sie der in Mexiko lehrende Professor Heinz Dieterich in seinem viel zitierten Buch »Sozialismus des 21.Jahrhunderts« anbietet, verständlich.

Buttkereits Buch gewinnt an Gebrauchswert da, wo er die politischen und sozialen Prozesse in Lateinamerika mit einer grundsätzlichen Sympathie analysiert, ohne die kritischen Punkte auszublenden.

Helge Buttkereit: Utopische Realpolitik – Die Neue Linke in Lateinamerika. Pahl-Rugenstein Verlag, 2010, 162 Seiten, 16,90 Euro. ISBN 978-3-89144-424-5

http://www.neues-deutschland.de/artikel/167108.lateinamerikas-utopische-linke.html

Peter Nowak

Mayday-Demo fällt aus

1. MAI Linke Gruppen sagen Parade ab. Linker Event-Charakter befürchtet
In diesem Jahr haben linke Demonstranten am 1. Mai weniger Auswahl. Die Mayday-Parade gegen prekäre Arbeits- und Lebensbedingungen fällt aus. Seit 2006 hatte ein Bündnis sozialpolitischer, postautonomer und antifaschistischer Gruppen diese Parade organisiert, an der sich jedes Jahr tausende Menschen beteiligten hatten – viele mit selbst gestalteten Wagen, Bannern und Transparenten. „Wir konnten bei den Paraden zahlreiche Menschen organisieren und hatten immer Spaß dabei. Trotzdem müssen wir feststellen, dass wir an Grenzen gestoßen sind“, sagte Hannah Schuster vom Berliner Mayday-Bündnis der taz.

Ihr Hauptkritikpunkt ist, dass sich der Großteil der Arbeit um die Organisierung der Parade gedreht hat. Eigentlich sollten sich dort Menschen und Initiativen präsentieren, die das ganze Jahr über aktiv sind. Doch Versuche einer solchen kontinuierlichen Arbeit seien nach dem 1. Mai meistens wieder eingeschlafen.

Für die Gruppe „Für eine linke Strömung“ (fels), die wesentlich an der Organisierung der Mayday-Paraden beteiligt war, bestand daher die Gefahr, dass hier lediglich ein weiterer linker Event am 1. Mai entsteht, was aber gerade nicht beabsichtigt gewesen sei.

Fehlende Basisarbeit vieler Gruppen kritisiert

Klaus Strohm von der anarchosyndikalistischen Freien Arbeiterunion (FAU), die sich ebenfalls am Berliner Mayday-Bündnis beteiligte, vermisste weniger die theoretische Unterfütterung als vielmehr die alltägliche Basisarbeit bei vielen Gruppen. „Fehlende soziale Verankerung in konkreten Auseinandersetzungen kann nicht durch eine Großaktion am 1. Mai übertüncht werden.“

Allerdings haben nicht nur die Mayday-AktivistInnen Schwierigkeiten, Menschen in prekären Arbeitsverhältnissen dauerhaft zu organisieren. Auch Andreas Kraft, der eine Kampagne der Berliner Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) gegen prekäre Arbeitsverhältnisse bei der Jugend- und Sozialarbeit koordiniert, konstatiert gegenüber der taz, dass die Konfliktbereitschaft mit dem Arbeitgeber bei den meisten Beschäftigten oft nur sehr schwach ausgeprägt sei. Das wiederum erschwere kontinuierliche Organisierungsprozesse.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2010%2F03%2F16%2Fa0091&cHash=9a376341b6

PETER NOWAK

Westerwelle schärft rechtes Profil

FDP-Chef Westerwelle positioniert seine Partei im NRW-Wahlkampf rechts von der Union
Erst war es die Hartz IV-Debatte, dann kam der Vorwurf der Günstlingswirtschaft bei Auslandsreisen dazu. Der FDP-Chef Westerwelle steht seit Monaten in der Kritik. Am 15. März hat er auf einer Rede vor dem Parteitag der NRW-Liberalen Stellung bezogen und gleichzeitig eine politische Positionierung vorgenommen.

Die FDP will im Landtagswahlkampf in NRW gegen den Linksruck im Land kämpfen. Für den FDP-Chef ist damit vordergründig ein Lagerwahlkampf gemeinsam mit der CDU gegen eine Regierung unter Einschluss von Sozialisten und Kommunisten gemeint. Unausgesprochen kämpft Westerwelle aber noch gegen eine Regierungskombination, die Westerwelle noch mehr fürchtet: eine bürgerliche Koalition von Union und Grünen nach der NRW-Wahl.

Die Stichworte für den Wahlkampf in NRW hat der Politiker gleich mitgeliefert. Es geht ihm um den Kampf gegen eine linke Diskurshoheit. Die sieht er dort, wo er für seine Beiträge zur Hartz IV kritisiert wird ebenso gegeben, wie bei den Medien und Politikern, die ihm Verquickung wirtschaftlicher und persönlicher Interessen bei seinen Auslandsreisen ankreiden. In beiden Fällen vertrete er die Interessen der deutschen Wirtschaft und davon werde er sich auch künftig nicht abbringen lassen, meinte der FDP-Chef, der sich dafür selber Mut attestiert. Er werde sich den Schneid nicht abkaufen lassen, betonte er unter Beifall.

Die Partei schart sich in NRW vor dem beginnenden Wahlkampf hinter Westerwelle, so wie sie noch vor einem Jahrzehnt in dem Bundesland hinter Jürgen Möllemann gestanden hat. Dessen schneller und tiefer Fall dürfte aber auch für Westerwelle eine Warnung sein. Sollte die FDP bei den Wahlen in NRW nicht nur aus der Regierung fliegen, sondern auch besonders schlecht abschneiden, wird auch innerhalb der FDP die schon hier und dort vernehmbare Kritik an der One-Man-Show lauter werden. Dann wird sich auch zeigen, ob ein Verweis auf die Interessen der deutschen Industrie ausreicht, um kritischen Fragen nach einer Bevorzugung von Verwandten, Partnern und Freunden bei der Reisediplomatie aus dem Wege zu gehen. Mit Ulf Poschardt hat ein bekennender FDP-Wähler in einem Beitrag für die Welt die FDP zur Befreiung aus der Westerwelle-Falle aufgerufen.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/147248

Peter Nowak

Die Angst vor dem Internet-Tsunami

Die klassischen Printmedien geraten durch den Online-Journalismus zunehmend unter Druck
Ist das Zeitalter der klassischen Printmedien vorbei? Sind Tageszeitungen eine aussterbende Spezies auf dem Medienmarkt? Die Zukunft des Print-Journalismus im Onlinezeitalter war auch auf der Linken Medienakademie ein zentrales Thema.
 Die Branchenvertreter blicken alles andere als optimistisch in die Zukunft. Der stellvertretende Chefredakteur der »taz«, Reiner Metzger, vergleicht die aktuelle Lage der Printmedien mit der der Stahlwerke in der alten BRD vor 40 Jahren. Auch damals hätten viele Arbeiter in der Stahlbranche die Hoffnung gehegt, sie könnten einfach weitermachen wie bisher. Allerdings räumte auch Metzger ein, dass sich die journalistische Arbeit nicht einfach in ein Billiglohnland verlegen lässt. Trotzdem sei die Frage, wie sich in Zukunft mit Journalismus noch Geld verdienen lässt, offen.

Ist Online-Journalismus der berühmte Strohholm, der auch die Printmedien retten kann? Der Redaktionsleiter der Jugendzeitung »Spießer«, die schon länger eine Online-Präsenz hat, warnte vor zu großen Erwartungen. Besondere journalistische Qualitäten seien ihm unter den Bloggern nicht aufgefallen. Leider hatte der Herausgeber der Wochenzeitung »Der Freitag«, Jakob Augstein, kurzfristig seine Teilnahme an der Debatte abgesagt. Er hätte sicher zum Thema Online-Journalismus einiges beisteuern können. Schließlich hat seine Zeitung nach ihrem Relaunch im letzten Jahr eine Pionierrolle bei der Verbindung zwischen Print- und Online-Journalismus eingenommen.

Auch »Freitag«-Chefredakteur Philipp Grassmann sieht für den bisherigen Journalismus keine Zukunft mehr. Anders als in Großbritannien und den USA würden aber in Deutschland noch immer viele Journalisten ihre Distanz zu der Bloggerszene und dem Internet-Journalismus kultivieren. Grassmann sieht in dieser Haltung die illusionäre Hoffnung, der Internet-Tsunami würde wieder vorbeigehen. Mit Verweis auf Beispiele aus Großbritannien und den USA vertritt er die These, das Internet sei keine Gefahr sondern eine Chance für den Journalismus. So seien dem britischen »Guardian« Papiere zugespielt worden, die auf einen Steuerbetrug hindeuteten. Weil die Redaktion keine Kapazitäten zur Aufarbeitung der Unterlagen hatte, entschloss sie sich, die Papiere ins Netz zu stellen. Innerhalb weniger Tage hätten Internetnutzer die Unterlagen studiert und für die Leser aufbereitet.

Grassmann verteidigte auch den Mikroblog Twitter vor der Kritik, damit würden nur Belanglosigkeiten ausgetauscht. In Großbritannien habe Twitter bereits zur Verteidigung der Pressefreiheit beigetragen. Nachdem britische Gerichte der Presse verboten hatten, über den von einem Großkonzern verursachten Umweltskandal zu berichten und selbst über diese Entscheidung des Gerichts keine Meldung veröffentlicht werden durfte, sorgte eine 204 Zeichen lange Meldung bei Twitter für einen Sturm der Entrüstung in Großbritannien. Innerhalb von wenigen Tage hatten findige Internetznutzer die Hintergründe der Meldung recherchiert und ins Netz gestellt. Schließlich musste das Gericht das wirkungslos gewordene Verbot, über den Fall zu berichten, zurücknehmen.

Diese Beispiele eines engagierten Bürgerjournalismus beantworteten allerdings noch nicht die Frage, wie Journalisten künftig bezahlt werden sollen. Auch Grassmann machte hier aus seiner Ratlosigkeit keinen Hehl. Werbung im Internet kann die andauernde Flaute im Anzeigengeschäft der Printmedien nicht kompensieren. Während ein Werbebanner im Internet nicht einmal 100 Euro einbringt, erzielt eine in der »Süddeutschen Zeitung« veröffentlichte Anzeige in gleicher Größe Einnahmen in fünfstelliger Höhe. Der Chefredakteur des »Freitag« verweist darauf, dass in den englischsprachigen Ländern engagierte Journalisten Geld für ihre Recherchearbeit über das Internet sammeln. So konnte eine Umweltredakteurin rund zehntausend Dollar im Netz auftreiben, um über einen Umweltskandal im Südpazifik zu recherchieren und zu berichten.

Grassmann will hierin allerdings kein Modell für die Bezahlung von Journalisten sehen. Schließlich könnten auch finanzstarke Gruppen unter dem Deckmantel der Unterstützung Beiträge lancieren. Zudem besteht die Gefahr, dass die Journalistenhonorare noch mehr abgesenkt werden, wenn Bürgerjournalisten unentgeltliche Recherchearbeit machen. Diese auch von der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di geäußerten Befürchtungen, haben eine reale Grundlage. Für Grassmann wäre es allerdings eine falsche Strategie, wenn ver.di Blogger und Bürgerjournalisten als Gegner von professionellen Journalisten betrachten würden. Vor allem aber wäre es eine anachronistische Position, weil die Entwicklungen nicht aufzuhalten seien.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/167069.die-angst-vor-dem-internet-tsunami.html
 Peter Nowak

Die Handschrift des Vermieters

FRIEDRICHSHAIN Veranstaltungsraum eines Hausprojekts soll Dienstag geräumt werden. Problem ist ein Zusatz im Mietvertrag
„Wer ist denn dieser Bodi?“ Diese Frage muss sich Karen Vogler öfter anhören, wenn sie in Szenekneipen Flyer mit der Parole „Solidarität mit der Bödi 9“ auslegte. Die Künstlerin ist eine von 20 BewohnerInnen des ersten Hinterhauses der Bödikerstraße 9 in Friedrichshain. Im Erdgeschoss haben die MieterInnen einen Versammlungsraum eingerichtet. Dort werden Filme gezeigt und es gibt einmal in der Woche Essen zu günstigen Preisen.

Doch damit könnte es bald vorbei ist. Für Dienstag hat sich die Gerichtsvollzieherin angesagt. Dann sollen die Erdgeschossräume besenrein übergeben werden. Eine Kündigung durch den Eigentümer wurde vom Lichtenberger Amtsgericht bestätigt mit der Begründung, dass es sich bei den Räumen im Erdgeschoss nicht um Wohnraum handele. Grund war ein handschriftlicher Eintrag auf dem Anfang der 90er-Jahre mit dem damaligen Hausbesitzer geschlossenen Vertrag. Der hatte beim Erdgeschoss mit Bleistift das Wort „Hobbyräume“ eingetragen. „Wir haben die juristische Bedeutung dieses Vermerks nicht erkannt“, meint Bewohner Jörg Friedrich.

Die BewohnerInnen hatten Anfang der 90er-Jahre kurzzeitig ein Haus in der Friedrichshainer Modersohnstraße besetzt und nach Verhandlungen mit BezirkspolitikerInnen die Bödikerstraße 9 im relativ abgeschlossenen Teil vom Friedrichshain zwischen den S-Bahnhöfen Ostkreuz und Warschauer Straße als Ersatzobjekt akzeptiert. Statt Szenelokalen dominieren hier noch die Berliner Bierkneipen. Viele Läden stehen leer.

Doch seit 2007 hat das Haus neue Eigentümer. Der Garten wurde in einen Parkplatz verwandelt, im zweiten Hinterhaus entstanden Lofts. Auch die Projektbewohner sollten gehen. Die Kündigung sämtlicher Mietverträge im ersten Hinterhaus war jedoch ungültig, weil die neuen Eigentümer noch nicht ins Grundbuch eingetragen waren. Auch der Versuch, die MieterInnen per Gericht zu Modernisierungsvereinbarungen zu zwingen, scheiterte. Vogler befürchtet daher, dass die Eigentümer nun im Erdgeschoss mit der Modernisierung beginnen und die BewohnerInnen unter Druck setzen könnten. Deshalb wollen sie die Räumung noch verhindern – per Anwalt und mit Hilfe von außen. Bezirksbürgermeister Franz Schulz (Grüne) ist bereit, Gespräche mit den Eigentümern zu moderieren. Die BewohnerInnen laden zunächst für Dienstag ab 8 Uhr zum Frühstück mit Kulturprogramm, Sitzblockade nicht ausgeschlossen.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2010%2F03%2F13%2Fa0224&cHash=c7a4a84318

PETER NOWAK

Opfer oder Störfaktor

Selbstbewusste Erwerbslose kommen in der aktuellen Hartz-IV-Debatte kaum vor
Mit dem jüngsten Vorstoß der NRW-Kandidatin Hannelore Kraft (siehe Nähern sich SPD und FDP bei Hartz-IV einander an?) hat die Hartz-IV-Debatte eine neue Wendung genommen. Mit symbolisch entlohnten gemeinnützigen Tätigkeiten will Kraft Erwerbslose von der Straße holen. Der Vorstoß bleibt in der Logik der Agenda 2010 und macht nur noch einmal deutlich, dass sich die SPD davon nicht verabschiedet hat. Trotz des verbalen Schlagabtausches mit FDP-Chef Westerwelle sind sich führende Sozialdemokraten mit ihm einig, dass Erwerbslose unter fast allen Bedingungen Arbeitsverhältnisse annehmen sollen.
   

Die eigentliche Zielsetzung ist bei Sozial- wie Freidemokraten die Senkung der Kosten für die Ware Arbeitskraft. Denn auch die von Kraft vorgeschlagene symbolische Entlohnung würde dafür sorgen, dass der für europäischen Maßstab schon große Niedriglohnsektor in Deutschland weiter wächst. Dieser von verschiedenen Wirtschaftsinstituten gut erforschte Zusammenhang ist auch den Gewerkschaften bekannt, die aber in alter Treue zur SPD Krafts Vorschläge unterstützen.

Nur von der Dienstleistungsgewerkschaft verdi und von Erwerbslosengruppen kommt Kritik. Doch die wird von einem Großteil der Medien übergangen. Gerade in den letzten Wochen, als, angestoßen von Westerwelle, die Hartz-IV-Debatte wieder in allen Medien war, wurde es deutlich: Es gibt im Wesentlichen zwei Bilder von Erwerbslosen: Entweder ist er ein Störfaktor oder ein Opfer.
 

Deutschlands frechster Arbeitsloser

Als Störfaktor verursacht der Arbeitslose, der „durch den Tag gammelt“, Kosten. So schreibt Bild über „Deutschlands frechsten Arbeitslosen“, den 54jährigen Arno Dübel, der von dem Boulevardblatt vor ein mediales Volksgericht gestellt wurde, weil er 36 Jahre lang arbeitslos war und trotzdem kein schlechtes Gewissen hat. Einen Erfolg hatte Bild schon zu vermelden, das Amt hat Dübels Stütze um 30 Prozent gekürzt.

Man braucht nur den Duktus der Leserkommentare studieren, in denen dem „Sozialparasiten“ der Tod gewünscht wird, um zu erkennen, welche Ressentiments hervor gekitzelt werden. Besonders empört haben das Blatt und seine treuen Leser, dass Dübel es auch in der Kerner-Show ablehnte, sich als Minijobber zu verdingen und auch dabei seinen Humor nicht verlor. Die Kampagne gegen Arno Dübel hat ihre Vorläufer.

Vor 5 Jahren galt Florida Rolf, ein 65jähriger Rentner, der lieber in den USA als in Deutschland lebte, als Deutschlands dreistester Sozialhilfeempfänger. Damals waren die Gegenstimmen aus Erwerbslosengruppen auch in der Öffentlichkeit wahrnehmbar. Sogar Buttons mit dem Slogan „Solidarität mit Florian Rolf“ wurden getragen. Im Falle von Arno Dübel sind ähnliche Bekundungen bisher nicht bekannt geworden. Selbst in wohlmeinenden Berichten wird der Erwerbslose als kranker Mann mit Tränensäcken dargestellt, so in einem Artikel in der Monatszeitung konkret.

 

Erwerbslose als Opfer

Auch hier handelt es sich um keinen Einzelfall. Selbst in den Medien, die die Kampagne von Westerwelle und Boulevard gegen Erwerbslose vehement kritisieren, hat man Aversion gegen allzu fordernde Arbeitslose. So werden in einem längeren Beitrag in der Wochenzeitung Jungle World, der eigentlich eine Kritik an den Bildungsprotesten zum Thema hat, die Erwerbslosen gleichsam nebenbei abgewatscht.

„Deshalb agieren viele Bildungsprotestler in ihrem Denken und ihrer Rhetorik schon jetzt wie Hartz-IV-Empfänger. Sie pochen auf ihren Bildungsbedarf als eine sublime Form des Existenzminimums und können mit ihren Credit Points, ihrer Anwesenheitspflicht und ihrem ‚Campus Management‘ längst genauso gut tricksen wie jene mit ihrem ALG-II-Antrag“, heißt die intellektuell verfeinerte Variante des Ressentiments über die ewig fordernden und betrügenden Arbeitslosen.

 

Erwerbslosenwiderstand wird totgeschwiegen

Doch in der Regel wird in wohlmeinenden Medien das Bild der Erwerbslosen als Opfer gezeichnet. Konsequenterweise sind für einen Großteil der Medien Proteste von Erwerbslosen nach dem Ende der Montagsdemonstrationen im Jahr 2004 kaum existent.

Dabei gibt es schon seit mehreren Jahren regionale Initiativen von Erwerbslosen, die, anders als die Montagsdemonstrationen, nicht an den Staat appellieren, sondern in den Arbeitsagenturen und Jobcentern für die Durchsetzung von Rechten eintreten. Sie tragen Namen wie Vierte Woche, Zahltag oder Initiative Keiner muss allein zum Amt.

Bei diesen Aktionen koordinieren sich Erwerbslose zur Durchsetzung von konkreten Forderungen auf dem Jobcenter. Bei der „Aktion Zahltag“ geschieht dies als politische Aktion, bei der Begleitinitiative liegt der Fokus auf der individuellen Unterstützung. Doch bei beiden Aktionen geht es um Schritte der Selbstermächtigung von Erwerbslosen. Aktivisten berichten von konkreten Erfolgen, wenn ein lange verschleppter Antrag plötzlich bewilligt wird, wenn jemand mit einer Begleitperson aufs Amt kommt oder wenn längst fällige Gelder nach einer Zahltagaktion schnell ausgezahlt werden.

Dass davon in einer Zeit, in der die Medien ständig über Erwerbslose schreiben, kaum die Rede ist, dürfte kein Zufall sein. Auch wohlwollende Unterstützer wollen oft nur armen Opfern helfen. Wenn die Erwerbslosen diesen Objektstatus verlassen und als selbstagierende Subjekte auftreten, müssen auch diese wohlmeinenden Kreise eine Änderung der Blickrichtung vornehmen. Der Erwerbslose ist dann nicht das Opfer, dem geholfen werden muss, sondern ein Akteur, der Kooperation auf Augenhöhe einfordert.

http://www.heise.de/tp/r4/artikel/32/32222/1.html

Peter Nowak

Kungerkiez wird teurer

SOZIALE STADT MieterInnen einer landeseigenen Wohnungsgesellschaft protestieren gegen Mieterhöhungen
„Treppe rauf – Mieten runter“ und „Mieten streichen“, lauten die Parolen auf Plakaten, mit denen die Wohnungsbaugesellschaft „Stadt und Land“ um MieterInnen wirbt. „Die Poster könnten wir jetzt gut gebrauchen“, sagt Karl Richter und lacht. Er ist einer von rund 30 MieterInnen aus dem Alt-Treptower Kungerkiez, die am Montagvormittag die Geschäftsführung von „Stadt und Land“ zur Rücknahme der Mieterhöhungen für 332 BewohnerInnen aufforderten.

„Zum 1. April 2010 soll die Durchschnittsmiete dieser Wohnungen um 0,37 Euro pro Quadratmeter steigen, was einer durchschnittlichen Erhöhung von etwa 9 Prozent entspricht“, bestätigt Andrea Setzepfandt der taz. Sie ist bei der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig.

„Innerhalb von zweieinhalb Jahren hat sich meine Miete um 50 Euro erhöht“, berichtet eine ältere Frau am Montag. Ein Ehepaar klagt, seit ihrem Einzug im Jahr 1994 sei die Wohnung nicht saniert, die Miete aber kräftig erhöht worden. Hartz-IV-Empfänger könnten so ihre Wohnungen verlieren, weil das Jobcenter die volle Miete nicht mehr übernimmt, befürchteten mehrere Protestierende. In Härtefällen sei die Wohnungsbaugesellschaft zu individuellen Lösungen bereit, meine der Prokurist von „Stadt und Land“, Bernhard Schütze, der eine Protestnote der Mieter entgegennahm. Zusagen über eine Rücknahme der Mieterhöhungen wollte er nicht machen. „Die Erhöhungen liegen im Rahmen des Mietspiegels“, argumentierte er. Fragen nach Unternehmensgewinnen von 7,8 Millionen Euro im letzten Jahr wollte er nicht beantworten.

„Die Wut der MieterInnen ist groß“, betonte eine Aktivistin der Treptower Stadtteilinitiative Karla Pappel, die die Mieter unterstützt. Ihre Gruppe sieht auch die sechs Baugruppen rund um den Kungerkiez als Teil einer Begünstigung einer mittelschichtsorientierten Stadtteilpolitik zum Nachteil von Menschen mit geringem Einkommen.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=bl&dig=2010%2F03%2F09%2Fa0069&cHash=46dc08c172

PETER NOWAK

Gewerkschaften im Kalten Krieg

Plädoyer für die Wiederbelebung eines »toten Hunds«
 

 

Reinhard Bispinck / Thorsten Schulten /Peeter Raane (Hrsg.):
»Wirtschaftsdemokratie und expansive Lohnpolitik.
Zur Aktualität von Viktor Agartz«,
VSA-Verlag, Hamburg 2008,
244 Seiten, 17,80 Euro,
ISBN 978-3-89965-282

Wenn es um politische Unterdrückung im Nachkriegsdeutschland geht, wird in der Regel sofort an die DDR gedacht. Dabei gerieten seit den 50er Jahren auch in der BRD Tausende ins Visier des Staatsschutzes, weil sie als KommunistInnen oder SymphatisantInnen verdächtigt wurden. Zu den prominentesten Opfern dieses westdeutschen McCarthyismus gehörte der Gewerkschafter Viktor Agartz. In den 50er Jahren zählte er zu  »den« zentralen Theoretikern des DGB. Von 1948 bis 1955 war er Direktor des Wirtschaftswissenschaftlichen Instituts (WWI) des DGB. Seine Karriere endete jedoch abrupt, als er 1957 aufgrund von Kontakten zur DDR des Landesverrats angeklagt wurde. Trotz seines Freispruchs galt er fortan für lange Zeit auch innerhalb der Gewerkschaften als persona non grata. Heute ist der 1964 verstorbene Agartz weitgehend unbekannt.  Der im VSA-Verlag erschienene Sammelband »Zur Aktualität von Viktor Agartz« konnte daran bisher wenig ändern.

Aufarbeitung der Vergangenheit im DGB?

Dabei war die Entstehung des Buches das Ergebnis einer innergewerkschaftlichen Diskussion um das Verhalten führender Gewerkschafter im Kalten Krieg. Auf dem Gewerkschaftstag der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV) von 1998 wurde mit großer Mehrheit ein Antrag angenommen, in dem gefordert wurde, »beispielhaft an der Person von Viktor Agartz aufzuzeigen, wie infolge des kalten Krieges und der bewussten Teilungstendenzen Persönlichkeiten aus den Gewerkschaften verdrängt wurden, die sich diesem Trend verweigerten«. Es dauerte fast ein Jahrzehnt – die HBV war mittlerweile in ver.di aufgegangen –, bis als Konsequenz aus diesem Antrag das WSI und die Rosa Luxemburg-Stiftung NRW zum 110. Geburtstag von Viktor Agartz eine gemeinsame Tagung in seiner Geburtsstadt Remscheid organisierten.
Der erste Teil des Sammelbandes dokumentiert die dort gehaltenen Reden. Besonders eindringlich zeigte der ehemalige Vorsitzende der IG Druck und Papier von NRW Franz Kersjes auf, wie sich an der Verfolgung des Viktor Agartz nicht nur Staatsschutzbehörden beteiligten. Obwohl der Gewerkschafter am 13. Dezember 1957 vom 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs aus Mangel an Beweisen von der Anklage der landesverräterischer Kontakte zur DDR freigesprochen wurde, sollte er aus der HBV ausgeschlossen werden. Im April 1959 wurde der Ausschlussantrag abgelehnt. Doch als Agartz zur IG Druck wechselte und als Referent zum
Thema »Gewerkschaften in der Sackgasse« in Düsseldorf auftreten wollte, wurden seine innergewerkschaftlichen GegnerInnen erneut aktiv. Der Landesbezirk NRW und der Bundesvorstand des DGB intervenierten und distanzierten sich von der Veranstaltung, die schließlich vom Hauptvorstand der IG Druck abgesagt wurde. »Die Mehrheit der Vorstandsmitglieder war mit der Entmündigung einverstanden«, schreibt Kersjes. Daraufhin wurde das Ausschlussverfahren gegen Agartz wieder aufgenommen. Am 29. Januar 1960 wurde er vom Hauptvorstand der IG-Druck offiziell ausgeschlossen.
Auf einen Brief, in dem Agartz seine Stellung zum FDGB erklären sollte, hatte Agartz nicht mehr reagiert. Der Gewerkschafter hatte in seinem Landesverratsprozess, bei dem er von den späteren sozialdemokratischen Spitzenpolitikern Dieter Posser und Gustav Heinemann juristisch verteidigt wurde, erklärt, er bedauere es, dass der DGB die Kontakte zum FDGB abgebrochen habe, der auch ein Teil der Arbeiterbewegung in Deutschland sei. Allerdings bedeutete sein Eintreten für Kontakte zum FDGB keinen Verzicht auf Kritik an der DDR. So monierte er, dass es dort kein Streikrecht gebe und dass die DDR genau so von Moskau abhängig
sei wie die BRD von Washington. Aber selbst eine solch kritische Position bewahrte Agartz nicht vor dem Ausschluss aus dem DGB.

 Expansive Lohnpolitik und Wirtschaftsdemokratie

Mit Agartz wurde auch eine gewerkschaftliche Position aus dem DGB verbannt, die sich der Anpassung an die Verhältnisse im restaurierten BRD-Staat widersetzt hatte. Es waren vor allem zwei Punkte, an denen Agartz eine klare Gegenposition zur DGB-Führung immer wieder deutlich machte.
Er vertrat das Konzept der expansiven Lohnpolitik. »Die Gewerkschaften müssen die höhere Verantwortung zunächst denen überlassen, die im Besitz der Rechte und Macht sind. Unter diesem Gesichtspunkt bekommt
die lohnpolitische Haltung der Gewerkschaften ein besonderes Gewicht«, schreibt Agartz 1950 in seinem (im Buch nachgedruckten) richtungsweisenden Aufsatz „Die Lohnpolitik der deutschen Gewerkschaften“.
Er sah im Kampf um Lohnerhöhungen den zentralen Hebel der Gewerkschaften, um auch Einfluss auf die Wirtschaftspolitik zu nehmen. Der Kampf um einen höheren Lohn ist für Agartz also auch eine Frage der gewerkschaftlichen Gegenmacht.
Ein weiteres gewerkschaftliches Standbein war für ihn das Konzept der Wirtschaftsdemokratie. Dabei schwebte ihm ein aus Gewerkschaften und Konsumgenossenschaften gebildetes Organ der Verwaltung der Wirtschaft vor. Der Politologe Michael Krätke stellt das von Agartz vertretene Konzept der Wirtschaftsdemokratie in den Zusammenhang mit Debatten in linkssozialdemokratischen Kreisen der Weimarer Republik und mit Rätekonzepten, wie sie zwischen 1918 und 1922 unter den Revolutionären Obleuten, einer autonomen Betriebsräteorganisation, die wesentlich für den Ausbruch der Revolution im November 1918 verantwortlich war, diskutiert wurden. Der Berliner Historiker Rolf Hoffrogge hat diese Konzepte bei der Recherche über die Biographie von Richard Müller, einem der führenden Köpfe der Revolutionären Obleute, entdeckt und wieder bekannt gemacht.
Ein großes Verdienst des Bandes ist die Dokumentation von Reden und Aufsätzen von Viktor Agartz aus den Jahren 1946 – 1954. Dabei fällt auf, wie akribisch er die Wirtschaftsentwicklung in der BRD analysierte und vor der »erstarkten Reaktion« warnte. Er war auch nicht bereit, in der Forderung nach Mitbestimmung die zentrale gewerkschaftliche Forderung zu sehen. »Die Mitbestimmung ist nur ein Bestandteil der Neuordnung von Wirtschaft und Gesellschaft. Diese Neuordnung über die betriebliche Mitbestimmung ist das Eindringen in die gesellschaftliche Ordnung, die bislang als geheiligt und unverletzlich galt.« Für Agartz steht
eine gesamtgesellschaftliche Wirtschaftsplanung an erster Stelle. Auch hier macht er Anleihen bei den Rätekonzepten der frühen 20er Jahre. Allerdings bleiben seine Vorstellungen einer überbetrieblichen Wirtschaftsdemokratie relativ vage. Klarer ist seine kritische Analyse der betrieblichen Mitbestimmung, für die er auf dem Kölner Gewerkschaftstag der IG Chemie, Papier, Keramik im Jahre 1954 viel Applaus bekam: »Die Mitbestimmung ist keine wirtschaftliche und wirtschaftspolitische Lösung, weil sie auch bei einer vollen Realisierung ine Änderung des kapitalistischen Systems nicht zu bewirken vermag. Eine Änderung des Systems kann auch fernerhin durch die Mitbestimmung nicht vollzogen werden, weil es unmöglich ist, von der Grundlage des Betriebs aus Wirtschaftspolitik zu betreiben.«
Die Repressionen gegen Agartz waren eine Reaktion auf diesen Versuch, andere Formen des Wirtschaftens zu propagieren, die über eine rein betriebliche Ebene hinausgingen.
In mehreren Aufsätzen im Buch wird daran erinnert, dass eine offensive Lohnpolitik und auch die Frage der Wirtschaftsdemokratie heute erneut auf der Tagesordnung stehen. Allerdings warnen die Autoren Reinhard Bispinck und Thorsten Schulten vor einer Überschätzung gewerkschaftlicher Lohnpolitik. Auch bleibe bei Agartz’ Konzept der expansiven Lohnpolitik die Frage offen, wie ein Abwälzen des höheren Lohnes auf die Preise verhindert werden könne. Das Autorenduo macht zudem auf den Verlust an gewerkschaftlicher Gestaltungsmacht aufmerksam: »Mit der zunehmenden Dezentralisierung der Tarifpolitik und Erosion des Flächentarifvertrages sind heute die Möglichkeiten zur Durchsetzung einer gesamtwirtschaftlich orientierten Lohnpolitik stark eingeschränkt«. Das bedeute aber nicht, dass die Vorstellungen von Viktor Agartz nicht mehr zeitgemäß seien. Eine kritische Beschäftigung tut not, und die Erinnerung an den gewerkschaftlichen Dissidenten ist aktueller denn je. Umso bedauerlicher ist es, dass das Buch in Gewerkschaftskreisen und in der Gewerkschaftspresse weitgehend ignoriert wurde.

 erschienen im express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 2/10
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Kampf gegen Staudämme

Viele werden noch nichts vom Internationalen Aktionstag gegen Staudämme gehört haben, der am 14. März schon zum dreizehnten Mal stattfindet. Für viele Menschen vor allem in Asien und Lateinamerika hat der Tag eine zentrale Bedeutung. Schließlich sind Millionen Menschen auf diesen Kontinenten durch neue Staudammprojekte in ihrer Existenz bedroht.

Mittlerweile gibt es weltweit mehr als 40 000 Staudämme. Tausende weitere sind in Planung. Oft ist ihr Bau nur möglich, weil Konzerne aus Europa oder den USA am Bau beteiligt sind. Daran setzen Nichtregierungsorganisationen an, die mit ihren Aktionen die von den Staudämmen bedrohte Bevölkerung unterstützen.

Wie schwierig der Kampf ist, zeigt sich am Beispiel des Ilisu-Staudammes im Osten der Türkei. Nach massivem Druck von Nichtregierungsorganisationen hatten im Juli 2009 Deutschland, Österreich und die Schweiz ihre zugesagten Exportrisikobürgschaften zurückgezogen.

Trotzdem hat die türkische Regierung kürzlich angekündigt, im April 2010 mit dem Bau des Staudamms beginnen zu wollen. Dabei haben die Gegner des Staudamms sowohl in der Türkei als auch international Erfolge zu verzeichnen. So hat das Europäische Parlament Anfang Februar 2010 in einer Entschließung die türkische Regierung aufgefordert, alle Arbeiten an dem Staudamm einzustellen, bis eine Studie über die Folgen für die Anrainer vorliegt. Fast zeitgleich hat das Verwaltungsgericht von Diyarbakir Landenteignungen für den Staudammbau für ungültig erklärt. Die Pläne der Regierung könnten also noch durchkreuzt werden, betont der europäische Koordinator der Kampagne gegen den Ilisu-Staudamm, Ercan Ayboga. Dazu aber ist verstärkter Druck im In- und Ausland nötig. »Wir wollen verhindern, dass europäische Länder in anderen Teilen der Welt Projekte forcieren, die derart desaströs sind, und die in Europa selbst nicht denkbar wären«, lautet das Ziel der »Stop Ilisu«-Kampagne. Am 14. März sind in zehn türkischen Städten und mehreren europäischen Ländern Protestaktionen geplant.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/166532.kampf-gegen-staudaemme.html

Peter Nowak

Weitgehend unbeachtet

Gewerkschafter von DGB, ver.di, IG Metall und GEW aus Südwestdeutschland setzen sich in einem Aufruf für die Freilassung des iranischen Gewerkschafters Mansour Ossanloo ein. Der Vorsitzende der Gewerkschaft des staatlichen Teheraner Busunternehmens wurde 2007 zu fünf Jahren Haft verurteilt, weil er sein Recht auf Vereinigungsfreiheit wahrgenommen hat. In der Haft war er Folterungen ausgesetzt. Auch Aktivisten der unabhängigen Zuckerarbeitergewerkschaft Dezful wurden mit der Begründung inhaftiert, sie würden die nationale Sicherheit gefährden.

Die staatlichen Angriffe verstärken sich, nachdem verschiedene oppositionelle iranische Gewerkschaften, darunter die Interessenvertreter der Busfahrer, der Zuckerarbeiter, aber auch von Elektrizitäts- und Metallarbeitern, mit einer gemeinsamen Erklärung an die Öffentlichkeit getreten sind. Dort fordern sie neben demokratischen Reformen wie dem Streikrecht auch eine Erhörung des Mindestlohns, die Zahlung ausstehender Löhne und die Rücknahme der von der iranischen Regierung geplanten Kürzungen von Subventionen bei Grundnahrungsmitteln.

Diese Ansätze einer neuen iranischen Arbeiterbewegung sind besonderen staatlichen Repressionen ausgesetzt. Deshalb bedarf es einer internationalen gewerkschaftlichen Solidaritätsbewegung zu ihrer Unterstützung. Der Aufruf der süddeutschen Gewerkschafter ist daher nur zu begrüßen. Hier wird der Fokus auf den von Anfang an extrem arbeiterfeindlichen Kurs der islamischen Republik Iran gelegt. Die Konzentration auf die gewerkschaftlich Solidarität hebt sich auch positiv ab von einer unreflektierten positiven Bezugnahme auf die iranische Oppositionsbewegung. Statt einem Austausch der Eliten in Iran fordern die Gewerkschafter soziale Rechte ein. Ihre auf der Homepage justiceforiranianworkers.org dokumentierten Aktivitäten blieben in der deutschen Linken, trotz der seit Monaten heftig geführten Debatte um Iran, weitgehend unbeachtet.

Vielleicht verschafft der Aufruf, der auf der Homepage emanzipationundfrieden.de/Ossanloo-Usammlung.pdf unterzeichnet werden kann, den Aktivitäten der unabhängigen Gewerkschaften in Iran hierzulande eine größere Aufmerksamkeit.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/166372.weitgehend-unbeachtet.html

Peter Nowak

Erfolg für holländische Islamkritiker

Für die modernisierte Variante der extremen Rechten könnte Geert Wilders zur neuen Leitfigur werden
Kommunalwahlen in Holland finden normalerweise wenig internationale Aufmerksamkeit. Doch bei den Gemeinderatswahlen am vergangenen Mittwoch war das anders. Dafür sorgte eine Partei, die nur in zwei Städten kandierte. Die islamkritische Partij voor de Vrijheid des ehemaligen Rechtsliberalen Geert Wilders trat in Den Haag und Almere an. Am holländischen Regierungssitz kam sie mit 18 Prozent auf den zweiten Platz. In dem in der Nähe von Amsterdam gelegenen Almere wurde sie mit 21,6% sogar stärkste Partei. Damit wurde deutlich, dass die rechtspopulistische Partei nicht nur die Diskurse in Holland bestimmen, sondern auch Wahlen gewinnen kann.

Ein juristisches Verfahren wegen Aufstachelung zum Hass und Beleidigung von Moslems, das gegen Wilders angestrengt wurde, hat seiner Popularität keineswegs geschadet, wie das Wahlergebnis zeigt.

Es hat auch deshalb besondere Bedeutung, weil die Regierungskoalition in Holland am Streit um den Afghanistaneinsatz zerbrochen ist und daher Neuwahlen anstehen. Auch dann dürfte die Rechtspartei punkten. Allerdings könnte ein zu großer Erfolg die neue Partei schnell an ihre Grenzen bringen. Der Politikwissenschaftler Hanco Jürgens erinnerte in einem Gespräch mit dem Deutschlandfunk an die kurzlebige Liste Pim Fortuyn, die sich nach dem Tod ihres Namensgebers und des folgenden Regierungseintritts schnell zerstritten hat. Dass sich eine populistische Formation auch ohne den Tod ihres Anführers zerlegen kann, zeigt das Beispiel der Schillpartei, die ein kurzlebiges Hamburger Phänomen war.

Der Erfolg der holländischen Rechtspopulisten ist allerdings nicht nur ein regionales Phänomen. In verschiedenen europäischen Ländern wollen Politikstrategen mit massiver Islamkritik, Ablehnung von Migranten und Aversionen gegen die EU eine modernisierte Variante der extremen Rechten kreieren, die auch Wahlen gewinnen kann. Vor mehr als einem Jahrzehnt war für sie der österreichische Rechtspopulist Jörg Haider das große politische Vorbild. Doch sein Ansehen war in den rechten Kreisen schon vor dessen Tod ramponiert. Nun dürfte Geert Wilders zumindest zeitweise zum neuen Stern am rechten Horizont avancieren.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/147192

Peter Nowak

Islamkonferenz: Die engen Grenzen des Dialogs

Der Neustart der DIK unter Innenminister Thomas de Maizière steht in der Kritik
Die als Dialogforum mit den in Deutschland lebenden Moslems konzipierte deutsche Islamkonferenz hat bisher neben Fotos vor allem Streit produziert. Das scheint sich auch in diesem Jahr fortzusetzen. Die vom neuen Bundesinnenminister Thomas de Maizière angekündigte Fortsetzung und Vertiefung der Konferenz hat schon im Vorfeld für Kritik von unterschiedlichen Seiten gesorgt.

So monieren Islamkritiker, dass die Publizistin Necla Kelek und die Rechtsanwältin Seyran Ates beim Neustart nicht mehr dabei sein sollen (siehe Islamkonferenz künftig ohne Kritiker?). Aber auch Ali Kizilkaya vom konservativen Islamrat soll nicht mehr auf der Konferenz vertreten sein.

Die geplante Neugruppierung ist wohl auch die Konsequenz aus dem Ablauf der bisherigen Islamkonferenzen, die entgegen der Darstellung des Bundesinnenministeriums wenig konkrete Ergebnisse zeitigten. Unter der Ägide von de Maizière soll die Konferenz wohl ergebnisorientierter, aber damit auch stromlinienförmiger werden.

Streit um Imam

Erst vor wenigen Wochen zeigte die kurze Debatte um den Frankfurter Imam Sabahattin Türkyilmaz, der wegen der Teilnahme an einer antiisraelischen Demonstration und seiner unklaren Haltung zur Islamischen Republik Iran in die Kritik geriet und von seinem Posten zurücktrat, die engen Grenzen des Dialogs auf.

Während sich Türkyilmaz als Opfer einer Kampagne geriert und dabei auch von nichtreligiösen Kreisen Unterstützung erhält, jubeln rechte Kreise über den Rücktritt des „antisemitischen Imans“. Hätte es nicht Aufgabe einer Islamkonferenz sein müssen, genau über solche strittigen Fälle, wie den von Türkyilmaz, der schließlich alle seine Predigten ins Netz stellte, eine Debatte mit allen Beteiligten zu führen?

http://www.heise.de/tp/blogs/8/147188

 Peter Nowak

Der lange Arm der Arbeiter

ARBEITSKAMPF Erstmals seit vielen Jahren arbeiten türkische und kurdische Gewerkschaftsgruppen in Berlin zusammen. Anlass ist die Protestbewegung gegen Streichorgien eines Tabakherstellers in Ankara
Es waren Parolen, die wie aus der Zeit gefallen schienen. „Arbeiter aller Länder, vereinigt euch“ und „Sie sind Proletarier, sie sind im Recht“, riefen rund 200 Teilnehmer einer Demonstration, die am Sonntag von Neukölln zum Kottbusser Tor zog. Noch ungewöhnlicher ist der Anlass des Protests: Es geht um Solidarität mit den rund 12.000 Beschäftigten des türkischen Tabakmonopolisten Tekel. Schon seit drei Monaten wehren sie sich mit Streiks, Demos und einem Zeltlager in der Innenstadt von Ankara gegen den geplanten massiven Abbau von Arbeitsplätzen nach der Privatisierung des Unternehmens.

In Berlin hat sich ein Solidaritätskreis mit den Tekel-ArbeiterInnen gegründet, in dem verschiedene linke MigrantInnenorganisationen vertreten sind. Seit Anfang Februar hat er bereits drei Kundgebungen und am vergangenen Sonntag die Demonstration organisiert. Der parteiunabhängige Berliner Verein Allmende hat dabei eine wichtige Koordinierungsaufgabe übernommen. Seit mindestens einem Jahrzehnt hat es eine solche Zusammenarbeit verschiedener kurdischer und türkischer Gruppen nicht mehr gegeben.

Gute Kooperation

Die Kooperation der unterschiedlichen Gruppen laufe unter den heutigen Umständen ganz gut, berichtet Garip Bali vom Allmende-Vorstand der taz. Von einem politischen Aufbruch könne allerdings nicht die Rede sein. „In den letzten Jahren hat auch in der türkischen und kurdischen Community Berlins eine Entpolitisierung eingesetzt. Viele lehnen schon die Entgegennahme der Flugblätter ab“, sagt Bali. Deshalb war er positiv überrascht, als der Besitzer des Zeitungskiosks, in dem er schon seit Jahren einkauft, sofort bereit war, Flyer auszulegen und Plakate auszulegen.

Enttäuscht ist Bali hingegen über die geringe Beteiligung der deutschen Linken. Der an den Marxismus der Arbeiterbewegung angelehnte Duktus habe wohl viele Aktivistinnen aus der außerparlamentarischen Linken verschreckt, urteilt er selbstkritisch. Auf der Internetplattform Indymedia wird unterdessen moniert, dass sich deutsche Linke auf Mayday-Paraden und bei Bildungsstreikaktionen gegen prekäre Arbeitsverhältnisse wenden, aber zu Betriebskämpfen eine viel zu große Distanz haben.

Der Gewerkschafter Mustafa Efe hingegen zieht Parallelen von dem Kampf in der Türkei und den Problemen in Deutschland. „Die Tekel-Beschäftigten wehren sich gegen eine Privatisierungspolitik, mit der wir auch in Deutschland zu kämpfen haben“, meint der in der IG Metall organisierte Betriebsrat des Daimler-Benz-Werkes in Marienfelde. Efe kandidiert für die Betriebsratswahlen, die Mitte März stattfinden werden, auf einer alternativen Liste, die die offizielle IG-Metall-Liste wegen ihres kompromissbereiten Kurses gegenüber dem Unternehmen kritisiert.

Auch der kurdische Aktivist Hasan Cötek mobilisiert vor allem im gewerkschaftlichen Bereich für die Tekel-ArbeiterInnen. Er zeigt sich mit der Resonanz zufrieden. So habe er viel Applaus bekommen, als er während des Warnstreiks von Ver.di Anfang Februar in einem kurzen Redebeitrag über den Streik in der Türkei informierte. Mittlerweile hat sich ein gewerkschaftliches Solidaritätskomitee gebildet. Zwei Berliner Gewerkschaftler haben im Rahmen einer Solidaritätsdelegation inzwischen die Streikenden in Ankara besucht.

Dort könnte sich in Kürze die Lage zuspitzen. Denn die türkische Regierung hat mit der Räumung der Zelte gedroht, in denen die Streikenden seit Monaten ausharren. Das Berliner Solidaritätskomitee ruft – sollte dieser Fall eintreten – zu einer Demonstration am Kottbusser Tor auf.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=bl&dig=2010%2F03%2F03%2Fa0163&cHash=d20497f6d1

PETER NOWAK

Gezielte Stimmung mit falschen Zahlen

Der Paritätische Wohlfahrtsverband greift mit der Feststellung, dass „wer arbeitet, auch am Monatsende immer mehr Geld zur Verfügung als jemand, der erwerbslos ist“ in die Hartz IV-Debatte ein „Wer arbeitet, hat am Monatsende immer mehr Geld zur Verfügung als jemand, der erwerbslos ist“, lautet das Fazit einer Expertise des Paritätischen Wohlfahrtsverbands. 196 Beispielrechnungen aus dem „unteren Lohnbereich“ – von Singles, Alleinerziehenden und Großfamilien waren darin jenen von Hartz IV-Beziehern gegenüber gestellt. Die Expertise wurde erstellt, um mit seriösem Zahlenmaterial in der aktuellen Debatte geäußerten Behauptungen (siehe: Vom Verschwinden des Lohnabstands) entgegen zu treten, wonach der Anreiz zur Aufnahme einer Lohnarbeit schwinde, weil der Abstand zwischen Hartz IV-Empfängern und Lohnabhängigen zu gering sei. „Die Ergebnisse aus solchen Berechnungen haben mit der Realität nichts zu tun“, kritisiert der Hauptgeschäftsführer des Wohlfahrtsverbandes Ulrich Schneider. So seien bei in der Öffentlichkeit zirkulierenden Beispielrechnungen, die den geringen Lohnabstand nachweisen wollen, Einkommensbestandteile wie das Wohngeld oder der Kinderzuschlag bewusst ignoriert worden. Schneider spricht deshalb von einer „gezielten Stimmung gegen Arbeitslose“, die damit gemacht werde. Wird es das Bundesverfassungsgericht richten? Bei der Vorstellung der Expertise forderte Schneider die Bundesregierung auf, das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichts zügig umzusetzen: „Das Bundesverfassungsgericht hat klar gesagt, wo es langgeht.“ (siehe dazu: ALG-II-Mehrbedarf) Diese Lesart wird aber von vielen Analysten des Urteils nach gründlicher Lektüre infrage gestellt. So schreibt der Sozialwissenschaftler Rainer Roth, dass die Karlsruher Richter weder Hartz IV noch die Kürzung der Regelsätze für Schulkinder für verfassungswidrig erklärt haben: „Als verfassungswidrig wird nur das Verfahren zur Festsetzung der Regelsätze betrachtet, nicht die Höhe der Regelsätze selbst.“ Auch zur Höhe der Regelsätze hat sich das Gericht nicht geäußert. Die positive Bezugnahme von Schneider auf das Urteil ist wohl aus der illusionären Hoffnung gespeist, dass die Justiz es richten muss, wenn eine starke soziale Bewegung fehlt.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/147178

Peter Nowak

Respekt gefordert für DHL-Arbeiter

Gewerkschaften starten internationale Kampagne
Respekt ist das Schlüsselwort des knapp dreiminütigen Videos, das seit einigen Tagen auf YouTube zu sehen ist. Es ist Teil der vom internationalen Gewerkschaftsdachverband UNI global union (UNI) initiierten DHL-Kampagne, mit der faire Arbeitsbedingungen bei dem Konzern eingefordert werden. Das Post- und Logistikunternehmen wird in dem Video beschuldigt, Rechte von Arbeitnehmern weltweit zu missachten. Die gewerkschaftliche Mängelliste ist lang.

So seien etwa die Löhne der DHL-Beschäftigten im neuen Leipziger Drehkreuz so niedrig, dass diese zusätzlich staatliche Hilfe benötigten, wird in dem Clip kritisiert. Aktuell sollen dagegen 788 belgische Beschäftigte den Job verlieren, weil die europäische Unternehmenszentrale von DHL in der Nähe des Brüsseler Flughafens geschlossen wird.

Auch mit Gewerkschaftsrechten nimmt es das Unternehmen im Ausland offenbar nicht so genau. Zwei Beschäftigte von DHL-Express in Indien wurden demnach entlassen, nachdem sie eine Gewerkschaft gegründet hatten. Einen weitereren aktiven Gewerkschafter in dem Unternehmen bezichtigte die Firmenleitung fälschlich des Diebstahls.

Auch in Südafrika entließ DHL-Express drei aktive Gewerkschafter. Allerdings mussten sie wieder eingestellt werden, nachdem Gerichte die Kündigungen für unvereinbar mit den Gesetzen des Landes bezeichnet hatten.

In Bahrain lehnte DHL es ab, seinem Fahrpersonal für Verzögerungen bei der Zollabfertigung Überstunden zu bezahlen. Auf Malawi wurde einer leukämiekranken Mitarbeiterin gekündigt, nachdem sie länger als 8 Tage nicht arbeiten konnte.

Ein Koordinator der Kampagne betont, dass es sich bei den geschilderten Beispielen nicht um Einzelfälle handele. Seit Jahren berichteten gewerkschaftlich organisierte DHL-Mitarbeiter von Schikanen ihres Arbeitgebers.

Mitte November 2009 hatte die Gewerkschaft erstmals eine internationale Aktionswoche der DHL-Beschäftigten organisiert. Wegen der großen Resonanz sei nun die internationale Kampagne gestartet worden, so der Koordinator. Dafür wurden Aufkleber und Buttons in zahlreichen Sprachen hergestellt. »Globale Lieferdienste – besser mit Gewerkschaften«, lautet etwa ein deutschsprachiger Slogan.

Die UNI vertritt nach eigenen Angaben ca. 20 Millionen Beschäftigte im Transportwesen und organisiert 900 Gewerkschaften rund um den Globus. Das globale Netzwerk der DHL-Beschäftigten, das Teil von UNI ist, umfasst mehr als 200 000 Arbeiter aus über 50 Gewerkschaften.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/166098.respekt-gefordert-fuer-dhl-arbeiter.html

Peter Nowak